NORDATLANTIK-FLUG I: EINMAL ÜBER DEN GROßEN TEICH.

 

Montag, der 10. Juli 2006. Wir fliegen in Flight Level 120 über das Icekap Grönlands. Unter uns ist gerade eine Beech Baron im Eis notgelandet. Unsere Motoren, die bisher wie zwei Nähmaschinen gelaufen sind hören sich plötzlich irgendwie anders an ....

 

Einmal muss es sein.

 

Ein Mann muss ein Haus bauen, einen Baum pflanzen und einen Sohn zeugen. Und wir Flieger in Europa müssen einmal im Leben über den Atlantik nach Amerika. Wenn man dann über das geeignete Fluggerät und die nötige Ausbildung und Erfahrung verfügt.

Eines dazu vorweg: Ohne mindestens ein paar hundert Stunden Erfahrung, ohne IFR und ohne eine Turbo-aufgeladene Einmot oder Twin sollte man erst gar nicht daran denken. Und man sollte es im Sommerhalbjahr von April bis September tun. Doch wer sich schließlich dazu entschlossen hat und es wirklich durchzieht, der wird reichlich belohnt. Mit dem Gefühl, sich auf eines der letzten Abenteuer eingelassen zu haben, mit einem sagenhaften Landschaftserlebnis und mit dem unbeschreiblichen Gefühl, durch eigene Kraft, praktisch „zu Fuß“ einen anderen Kontinent erreicht zu haben, wo man sonst nur in einer Art „Zeitmaschine“, sprich dem Linienflugzeug hinkommt. 

 

Flugzeug gut, alles gut.

 

Die Diamond TwinStar mit der Werksnummer 16, Auslieferung April 2005, soll uns sicher über den großen Teich bringen. Das ist die große Bewährungsprobe. Welche Kinder-krankheiten eines so neuen Flugzeugmusters werden sich bei diesem langen Trip zeigen? Wir waren da eigentlich sehr zuversichtlich. Schließlich haben wir sie bereits ein gutes Jahr ohne größere Probleme geflogen. Ein Flugzeug der neuen Generation: Zwei Thielert Turbo-Dieseltriebwerke, mit je 135 PS, sonst in einem Auto mit dem Stern zu finden. Konsumiert Diesel oder Jet A1 und wird dank FADEC-Computersteuerung, wie ein Jet, auch nur mit einem Hebel bedient. Dazu ein Garmin 1000 Glascockpit, ein TKS Flüssigkeits-Enteisungssystem sowie eine portable Sauerstoffanlage. Mit den in den Triebwerksgondeln frisch eingebauten Zusatztanks haben wir bei 70% Leistung und 155 kt TAS eine Endurance von über 7 Std., bei 50% sogar über 9 Std. Da sind wir schon viel besser ausgerüstet als so manche Einmot, die den Trip vor uns gemacht hat. Bisher sind die beiden Triebwerke wie zwei Nähmaschinen gelaufen. Aber wie werden sie die langen Strecken über Wasser und Eis meistern? Wie werden sie uns durch das zu erwartende teilweise extreme Wetter des Nordatlantik bringen? Was passiert wenn ein Triebwerk ausfällt? Werden die 135 PS des verbliebenen Motors uns auch im leicht überladenen Zustand, möglicherweise bei Vereisungsbedingungen, noch über mehrere Stunden zu einem rettenden Platz bringen?

 

Im Kopf ging es schon ein halbes Jahr vorher los.

 

Vorbereitung ist alles. So dachten wir und handelten danach. Es ging los mit einem von der AOPA organisierten Seminar mit dem Ferry-Piloten und mehrfachem Weltumrunder Armin Stief. Eine durch und durch interessante und sinnvolle Begegnung. Armin hat nicht nur die nötige Erfahrung; er bringt eine Begeisterung für die Sache rüber, die einfach Lust macht schon am nächsten Tag loszufliegen. Aber daran war natürlich noch lange kein Denken. Als nächstes ging es zum ebenfalls von der AOPA organisierten „Sea Survival“-Überlebenstraining bei der Marine in Nordholz. Zwei Drittel des Tages verbrachten wir mit Theorie, wo es darum ging, welche Notausrüstung man braucht und wie man im Ernstfall zu handeln hat. Und dann ein paar Stunden im Schwimmbad.

In kompletter Montur mit Bundeswehr-Overall und Schwimmweste wird man in einer Art Flugzeugkabine festgeschnallt und unter Wasser gefahren. Dann heißt es losschnallen, Türe ausklinken, rausschwimmen und Weste aufblasen. Dann kommt der Einstieg aus dem Wasser in das Rettungsfloß. Und als Zugabe die Aufgabe, ein Floß, dass sich falsch herum aufgeblasen hat, herumzudrehen, indem man es besteigt und sich damit rückwärts in´s Wasser fallen lässt. Dann die simulierte Bergung per Helikopter aus der Insel. Auf der Rückfahrt im Auto gab es viel Schweigen: Wie schwierig und extrem Kräfte zehrend war das Ganze schon bei Hallenbad-Temperatur und Null Wetter. Man mochte sich einfach nicht vorstellen, es bei Wassertemperaturen um die Null Grad und bei vielleicht hohem Wellengang tun zu müssen. Wie setzt man das Flugzeug z.B. bei heftiger Dünung auf, wie kommt man am besten raus, und wie dann am besten in die Rettungsinsel? Wer übernimmt welche Aufgaben? An diesem Tag war der Respekt vor dem was wir uns vorgenommen hatten ein schönes Stück gewachsen.

 

Haben wir auch wirklich an alles gedacht?


Eine Procedure-Checkliste für den Fall der Notwasserung musste natürlich her. Die komplette Notausrüstung inkl. Liferaft, Survival-Anzug, Schwimmwesten, Signalraketen, Notproviant und Trinkwasser musste zusammengestellt werden. Dabei konnten wir uns glücklicherweise auf Walter Lill verlassen, den wir bei der Marine in Nordholz kennen-gelernt hatten und der in Schleswig ein Geschäft betreibt, dass sich mit dem Bereitstellen von Notausrüstung auch für Verrückte wie uns beschäftigt. Mit viel Sachverstand und einer hohen Serviceorientierung stellte er fast unsere gesamte Notausrüstung zusammen. Ein tragbarer GPS-Notsender, ein zweites tragbares GPS und ein Satelliten-Telefon mussten ebenfalls mit. Dazu natürlich alle Jeppesen-Karten für den Trip sowie einige VFR-Karten. Das Garmin 1000 musste mit den aktuellen Datensätzen für den Nordatlantik und Nordamerika gefüttert werden. Und dann die Formalitäten: Wer mit dem eigenen Flugzeug in die USA einreist, braucht ein Visum im Pass und eine Genehmigung der TSA (Transport Security Administration), eine Behörde die nach dem 11. Sept. eingerichtet wurde. 

Dazu eine Mitgliedschaft bei der EAA (Experimental Aircraft Association), die man braucht um in Oshkosh neben dem Flugzeug zelten zu dürfen. Wofür man natürlich eine – in diesem Fall recht spartanisch gehaltene – Zeltausrüstung mit dabei haben muss.

 

Auf los geht´s los.

 

Es kommt der Tag, an dem die Säge sägen muss. Nachdem wir uns ein halbes Jahr beinahe täglich mit dem Thema beschäftigt hatten, stehen wir am Samstag-Morgen den 8. Juli 2006 in Mönchengladbach neben unserer bis an den Kragen bepackten Maschine und sagen unseren Lieben Good Bye. Knapp 4 Stunden nach dem Take-Off landen wir in Wick, Schottland, wo wir einen klassischen DME-Arc-Approach fliegen mussten, der so in Deutschland nicht mehr vorkommt. Gut also, wenn man so was noch drauf hat. Am Boden erwartet uns Andrew, ein schottisches Original, Handling-Agent, Fluglehrer und Freund vieler Ferry-Piloten in Personalunion.  

 

Sein antiquarisches Büro „Far North“ wirkt milde gesagt ein wenig unaufgeräumt, aber sein Service kann sich sehen lassen. Unser Flugplan ist bereits aufgegeben, das Wetter liegt auf dem Schreibtisch und eine Hotelreservierung in Reykjavik ist kein Problem. Als wir den freundlichen Nordatlantik-Experten zum Thema Satellitentelefon befragen, bleibt jedoch ein seltsamer Nachgeschmack. Das Telefon könnten wir auf der Route völlig ver-gessen. Eine Aussage die, wie sich später herausstellte, einfach falsch war.

Dann rein in die Überlebensanzüge, die Schwimmwesten wieder an und Take-Off zum ersten Leg über den Nordatlantik. Da schlich sich schon ein recht beklemmendes Gefühl ins Cockpit ein. Und das im doppelten Sinne: Angesichts der 5 Std. langen Strecke über das kälter werdende Wasser und der Tatsache, dass der Gore-Tex-Überlebensanzug mit seinen wasserdichten Gummimanschetten vor allem am Hals gewöhnungsbedürftig einschneidend wirkte. Ein Effekt, der noch nach der Landung in Reykjavik in der Schlange an der Hotelrezeption zu einem extremen Wärmestau mit entsprechenden Kreislaufpro-blemen führte.

 

Wir entschlossen uns, das Tragen der nervigen Anzüge in der Folge ausschließlich auf die reine Cockpit-Zeit zu beschränken. Und  keine Minute länger als nötig damit herum zu laufen. Weil die meisten Plätze in Grönland am Wochenende geschlossen sind, hatten wir den folgenden Sonntag zum Sightseeing auf Island eingeplant. Der Tag lohnte sich. Durch eine beeindruckende, an Science-Fiction erinnernde Hallgrims-Kirche in Reykjavik, eine mehr als sehenswerte Landschaft und den Besuch des Ortes Geysir, wo die gleichnamigen Fontänen in regelmäßigen zeitlichen Abständen aus dem Boden schießen und verdampfen.

 

Grönland, ein Kapitel für sich.

 

Denkt man über die Nordalantik-Route nach, so stellt Grönland die größte fliegerische Herausforderung und gleichzeitig die größte Quelle möglicher Gefahren dar. Eine extrem geringe Dichte von Flugplätzen macht die Zahl der möglichen Alternates mehr als über-schaubar. Die Plätze liegen ausnahmslos an der See und sind damit relativ stark nebel-gefährdet. Außerdem sind einige sehr anspruchsvoll was die An- und Abflugverfahren sowie die entsprechenden einzuplanenden Minima betrifft.

 

Das bedeutet, dass einige Plätze, obwohl IFR-Anflugverfahren existieren, praktisch nur bei VFR- oder sogar CAVOK-Bedingungen anfliegbar sind. Das gleiche gilt für den Abflug, denn es existieren in der Regel keine veröffentlichen IFR-Abflugverfahren. Dazu kommt die Höhe des Icekaps. Wenn man über Grönland will, muss man da rüber und hat mit Gelände-Höhen bis 9.000 ft und mehr zu tun. Bei den dortigen  Temperaturen auch im Sommerhalbjahr, heißt das, das man in Flugflächen darüber oberhalb der Nullgrad-Grenze operiert. Das heißt, man muss frei von Wolken sein, will man das Risiko der Vereisung ausschließen. Befindet man sich in den Wolken, sitzt man in der Regel in der Falle, da man wegen der Höhe des Icekaps nicht unter die Nullgrad-Grenze sinken kann. Die Alternative ist da höchstens die Umrundung der Südspitze von Grönland in niedriger Höhe über dem Meer. Aber das ist wiederum nur bei entsprechender Vorrausplanung vor dem Start und nur VFR bei guten Sichten machbar.

Am Montag morgen stehen wir in aller Frühe am Schalter von Flight Services Reykjavik, dem Handling Agent des Platzes. Um uns rum ein bunter Haufen Piloten aus aller Herren Länder. Abenteurer, Ferry-Piloten, Millionäre mit teurem Fluggerät und Berufspiloten in Uniform. Ein Amerikaner erklärt uns theatralisch, das sei heute nicht sein Wetter in Grönland, er bliebe im Hotel. Die Wetterberatung sagt uns, dass wir gutes Streckenwetter haben werden, zwei für uns infrage kommende Plätze sind allerdings wegen Nebels kaum anfliegbar. Wir entschließen uns einen Plan nach Kangerlussuaq an der Westküste aufzugeben und starten bei tief liegenden Untergrenzen in die Bewölkung hinein. Sollte das Streckenwetter vielleicht doch schlechter als der Forecast sein? Müssen wir über dem Icekap vielleicht oberhalb der Nullgradgenze in Wolken fliegen? Wie zuverlässig und effektiv ist unsere Enteisungsanlage, die wir bisher nie unter harten Bedingungen ausprobieren konnten? Eine erlösende Antwort kommt von einer vor uns gestarteten Beech Baron mit zwei Engländern, die wir bei Flight Services gesehen hatten. „Here the weather is clear“, lautet der Bord-zu-Bord Funkspruch der vor uns fliegenden Maschine an uns. Wirklich sind wir nach einigen Minuten aus den Wolken raus und fliegen bei strahlend blauem Himmel Richtung Grönland. 

 

„Today the minimum IFR-flight level over the icecap is level 100“, hören wir im Funk von Icelandic-Control. Wir hatten uns schon bei der Flugplanung gefragt, wieso auf den IFR-Enroute-Charts kein Minimum-Level über Grönland ausgewiesen war. Jetzt haben wir die Antwort. Er wird jeden Tag aktuell nach dem jeweiligen Luftdruck festgelegt. Mit FL 120 sind wir auf jeden Fall safe. Als wir weiter dem Funk zuhören, legt sich die bis dahin vorherrschende Euphorie allerdings schlagartig. Wir verfolgen eine Unterhaltung zwisch-en der englischen Beech Baron und einem Airliner. Erst nach einiger Zeit verstehen wir: Die Baron liegt irgendwo im Grönländischen Eis. Die Besatzung ist wohlauf und bittet den Airliner als Relay um Hilfe. Später erfahren wir, dass die beiden Engländer per Helikopter geborgen werden konnten.

Bald sehen wir die ersten Eisberge, am Horizont erkennen wir Grönland mit dem Icekap. Das Ganze präsentiert sich bei strahlendem Sonnenschein. Die Anspannung im Cockpit mischt sich wieder mit Euphorie. Wir sind mehr als begeistert von der Faszination des Eismeeres unter uns und der unendlichen Weite des Kaps, das später dann in geringer Höhe unter uns praktisch konturlos und glatt dahingleitet. 

Wir haben nie erfahren, was die beiden Engländer für ein Problem hatten. Auf jeden Fall hat uns die Sache anschaulich klargemacht, dass ein Flug in diesen Breiten kein Spaziergang ist. Nach 5 ½ Std. Flugzeit landen wir nach einem wunderbaren durch eine Fjordlandschaft führenden Anflug sicher in Kangerlussuaq (früher Sondrestrom Fjord), einem von den Amerikanern im 2. Weltkrieg gebauten Platz, um am Abend bei einem Rentiersteak die aufregenden Ereignisse des Tages durchzusprechen. Wir sind uns zweier Dinge bewusst: Mit Grönland haben wir die größte fliegerische Herausforderung auf dem Hinflug praktisch hinter uns gebracht. Und: Am nächsten Tag wird der erste Teil unseres Traumes wahr werden. Wir werden mit eigener Kraft den amerikanischen Kontinent erreichen.

 

(Bildmaterial unter Nordatlantik II, siehe oben links)

 

Michael Fröhling
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