Niemand, soweit das Auge reicht.
Wenn etwas als Erinnerung zurückbleibt, dann ist es vor allem die endlose Weite des Meeres oder der Landschaft, die man stundenlang überfliegt, ohne ein Stück Zivilisation zu entdecken. Psychologisch wichtig dabei wird die verbleibende Nabelschnur zur Zivilisation und damit zur vielleicht rettenden Hand durch den Funk. Dabei ist mindestens alle 60 Minuten ein Position-Report angesagt. Er enthält die aktuelle Position, die nächste Position mit Estimate der Uhrzeit sowie die übernächste Position. Nur leider kann man den auf der aktuellen VHF-Frequenz oft gar nicht los werden. Man fliegt nämlich stundenlang ohne Funkkontakt zu einer Bodenstation. Hat man kein HF-Equipment dabei, so wie wir, bleibt nur ein Relay über Airliner oder die Kommunikation mit dem Satphone. Beides klappte bei uns eigentlich einwandfrei. Auf der Route hat man immer eine Menge Airliner über sich, wovon sich bei Blindanruf „This is D-GERM looking for relay“ in der Regel immer einer der großen Brüder über uns meldete. Dem gibt man dann seinen Positionreport, der dann an die entsprechende Bodenstelle weitergeleitet wird. Manchmal kam auch eine Anweisung für die nächste zu meldende Position zurück. Das Satellitentelefon funktionierte ebenfalls einwandfrei. In einem normalen Telefongespräch mit der Bodenfunkstelle gab man seinen Position-Report ab und erhielt entsprechende Anweisungen bzw. Freigaben. Vorraussetzung ist natürlich, man besorgt sich vorher die entsprechenden Telefon-Nummern der Bodenstationen.
Am nächsten Tag ging es dann bei CAVOK-Bedingungen über die Labrador See nach Kanada mit Landung in Iqaluit (früher Frobisher Bay). Wir betreten den amerikanischen Kontinent, der sich in diesem Eskimo-Dorf (deren Einwohner heute politisch korrekt Inuit genannt werden) als Vorposten der Zivilisation im mehrfachen Sinne merkwürdig präsentiert. Zum ersten mal fallen uns die extrem übergewichtigen Menschen auf, an deren Anblick man sich später auf diesem Kontinent gewöhnen wird. Die Inuit in der Dorfkneipe machen den Eindruck, als würden sie dort eine Menge Zeit verbringen. Und die zahlreichen Mücken verhalten sich so als wollten Sie auf jeden Fall einen bleibenden Eindruck bei uns hinterlassen. In den nächsten Tagen geht es dann über Sept-Iles am St. Lawrence Strom und Montreal nach London/Ontario, wo Diamond Aircraft eine Werksniederlassung hat und Flugzeuge für den nordamerikanischen Markt produziert. Wir sind eingeladen beim alljährlichen „Diamond Fest“, das dieses Jahr ein besonderes Highlight bietet. Diamond präsentiert den D-Jet, einen einstrahligen Jet mit 5 Sitzen, der für das boomende Segment der Very Light Jets produziert wird.
Am Sonntag den 16. Juli geht es dann weiter Richtung USA. Wir landen in Buffalo, um die Niagara-Fälle zu besichtigen und fliegen am nächsten Tag dann Richtung New York.
Stell dir vor Du landest in New York und keiner ist da.
Der General Aviation Airport von Manhattan ist Teterboro in New Jersey. Dort reiht sich ein Business Jet an den anderen. Mit dieser Vorstellung im Kopf taten wir gut daran, von Buffalo aus die Gebühren bei verschiedenen Handling-Agents am Platz zu erfragen. Nur um festzustellen, dass wir dort ein kleines Vermögen los geworden wären. Deshalb entschieden wir uns nach Linden, New Jersey zu fliegen, ein kleiner Platz ebenfalls nicht weit von Manhattan entfernt. Auf dem Flug dorthin waren wir gespannt, wie uns mit New York eine der verkehrsreichsten Luft-Nahverkehrzonen der Welt empfangen würde und welche navigatorischen bzw. funktechnischen Herausforderungen auf uns zukommen würden. Aber es kam völlig anders als erwartet. Auf dem Weg dorthin erkundigte sich der Controller, wie bereits einige Kollegen vor ihm, in Form eines entspannten Gesprächs nach unserem Flugzeugtyp, und ob wir es auch wirklich mit Diesel-Antrieb aus Deutschland dorthin geschafft hätten. Nur um dann zu meinen, mit LTU wäre es sicher schneller gegangen. Dann entspannte Radar-Vectors zum Platz und eine Überraschung. Die CTAF-Frequenz, also die Info-Frequenz von Linden, war wie in USA üblich nicht besetzt. Wir wussten zwar, dass dies häufig in den USA der Fall ist, aber hier 30 Meilen von Manhattan und 6 Meilen südlich von Newark, einem großen Verkehrsflughafen hätten wir mit allem gerechnet, aber nicht damit. Also brav die Position und Höhe in der Platzrunde melden, so dass der übrige Verkehr es mithören kann. Aber es war niemand da. Wirklich keiner außer uns. Das wurde uns klar, als wir die Skyline von New York in der Ferne erkannten und in den Endanflug drehten. Umso größer die Freude, als wir merkten, dass es am Boden Menschen gab. Ein freundlicher junger Mann betankte die Maschine, half uns mit dem Gepäck und bestellte uns ein Taxi nach Manhattan.
Der Weg ist zwar das Ziel. Aber in diesem Fall war das Ziel auch nicht so schlecht. Drei Tage in New York, bildeten dann einen absoluten Höhepunkt auf einer Reise voll von Höhepunkten.
Oshkosh, das glaubt einem nachher keiner.
Wenn man in den USA oder Kanada eine Wetterberatung braucht, oder einen Flugplan aufgeben will, dann ruft man die kostenlose Nummer 1-800-WX-BRIEF an und kann dort beides problemlos erledigen. Der Berater geht individuell auf einen ein, nimmt sich aus-reichende Zeit und beantwortet weitere Fragen. Ein für unsere Verhältnisse ausgezeichneter Service. So ausgezeichnet wie der Service im Funk, der auf unserem gesamten Flug dort drüben von Professionalität und Reibungslosigkeit geprägt war. Nicht so beim Abflug von New York. Eigentlich wollten wir VFR wegfliegen, dann den Hudson hoch entlang der Skyline von New York (immer noch möglich, aber 1.100 ft Maximum), um dann über einer VOR auf IFR umzuswitchen. Am Morgen stellte sich jedoch heraus, dass dies aufgrund einer Gewitterfront über dem Hudson wenig ratsam erschien. Also dann per Telefon ein neuer IFR Flugplan raus, das Flugzeug startklar machen und sich am Boden bei Newark Tower „Ready for Departure“ melden. Doch die hatten keinen Flugplan vorliegen und der kam auch nach Abwarten und mehrmaligem Nachfragen nicht an.
Daraufhin riet uns der Tower einen neuen Flugplan telefonisch aufzugeben, oder VFR zu starten und den Plan im Flug aufzugeben. Wir entschieden uns für das letztere und machten unseren Take-Off. Als wir uns dann auf der zuständigen Radar-Frequenz melde-ten, gab es dann nur Antworten wie „we don´t have time to accept your flight plan now, proceed VFR for the time being“. Also blieb uns nichts anderes übrig, als VFR um die sich ebenfalls über New Jersey bildenden Quellungen herumzunavigieren, bis wir schließlich nach ca. 20 Minuten unsere IFR-Freigabe erhielten. Ohne weitere Probleme ging es dann nach Oshkosh. Um sicher zu gehen, dass wir auf diesem größten Fliegertreffen der Welt einen Abstellplatz für Flugzeug und Zelt finden würden, kamen wir schon am Freitag vor dem Eröffnungstag am Montag an. Ab Samstag hätte auch das umfangreiche Notam gegolten, welches die ganz besonderen An- und Abflugverfahren während der Airshow regelt. Spätestens 60 Meilen vor dem Platz muss man IFR canceln, man meldet sich an einem bestimmten geografischen Punkt, bekommt keinerlei Anweisungen und reiht sich ab diesem Punkt in eine Line mit anderen ankommenden Flugzeugen ein, man hält die gleiche Höhe und die gleiche Geschwindigkeit von 90 kt, kurz vor dem Platz wird man vom Tower angesprochen: „Red Cessna, on right base runway 09, rock your wings“. Das macht man dann und erhält z.B. folgende Anweisung: “Red Cessna, follow white Cherokee, cleared to land 09, land on red dot“. Auf jeder Runway gibt es nämlich drei farbige Markierungen, auf denen hintereinander versetzt gleichzeitig (!) drei Flugzeuge landen. Nach der Landung gilt es sofort die Bahn seitlich ins Gras zu verlassen, damit die nächsten drei Kollegen landen können. Es ist also alles andere als aus der Luft gegriffen, wenn am Tower von Oshkosh steht „World´s busiest control tower“. Während der Show arbeiten in diesem „weltweit beschäftigsten“ Tower die besten Controller der Nation und halten am Funktionieren, was sicher nur im Land der unbegrenzten Möglichkeiten überhaupt funktionieren kann. Nach der Landung erleben wir eine perfekte Organisation durch eine große Zahl von Helfern, die alle ehrenamtlich dort sind und sich durch eine wahnsinnige Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft auszeichnen. Alle wollen ganz offensichtlich eine gute Zeit haben und sorgen deshalb für gute Stimmung.
Will man tanken, spricht man einfach einen Tankwagen an, der im Takt von 20 Minuten routinemäßig vorbeikommt, will man einen Flugplan aufgeben, geht man zum dafür be-reitstehenden Kiosk. Handy leer? Kein Problem, auch dafür gibt’s eine Möglichkeit zum Aufladen. Will man frühstücken oder Essen gehen, nimmt man einfach den Bus, der auf Wunsch dort anhält wo man auf ihn wartet.
Kurz nach uns landen unsere Fliegerkollegen Dieter Morszeck und Wolfgang Bartels aus Köln, die es mit ihrer Malibu ebenfalls nach Oshkosh geschafft haben. Kein Problem, in Absprache mit unseren neu gewonnen Helferfreunden aus Oshkosh einen Platz für Maschine und Zelt direkt neben uns zu reservieren. Das Hallo ist natürlich groß und der Gesprächstoff über das was wir unabhängig von einander auf diesem Trip erlebt haben, will an diesem Abend nicht ausgehen.
Für Gesprächsstoff sorgen auch unsere Flugzeug- und Zeltnachbarn. Da ist Richard, ein Schweinefarmer aus Kanada, der auf dem Höhenleitwerk seiner betagten Cessna 172 Kaffee kocht und uns regelmäßig dazu einlädt. Ein Hurrican hat vor einem halbem Jahr seine komplette Farm zerstört, was man seiner guten Laune und seinem sympathischen Mitteilungsbedürfnis nicht anmerkt.
Und da ist Jay, bestimmt schon über 70 Jahre alt. Er ist mit seiner Bonanza gekommen, mit der er schon um die Welt geflogen ist. In Vietnam hat er als Jetpilot auf einem Flugzeugträger gedient. Er macht auch heute noch Ferryflüge nach Europa und hat nicht nur darüber eine Menge zu erzählen. Für Gesprächstoff sorgen auch die vielen Leute, die sich unser Flugzeug anschauen und Fragen stellen. Und das den ganzen Tag lang. Kaum ein Passant der nicht anhält und sich interessiert erkundigt, mit welchem Treibstoff wir fliegen, ob wir mit der Maschine zufrieden sind und wie der Flug über den Atlantik war. Oshkosh, das ist das Meeting der Superlative. Ein Woodstock für Flieger. Über 10.000 Flugzeuge kommen insgesamt. Die Reihen der Flugzeuge mit Zelt daneben sind nicht zu überschauen. Man sieht Tausende von Homebuilts aller Arten und natürlich alle General Aviation - Hersteller mit ihren Novitäten sind vertreten. Und am Montag um Punkt 13:00 Uhr passiert folgendes: 86 Beech Bonanzas kommen als Formation wie an der Leine aufgereiht rein. Nur der erste bekommt die Landefreigabe und die anderen 85 landen dann hinterher, und zwar jeweils zu dritt gleichzeitig.
Am Abend spielen dann die Beach Boys und sorgen für eine Stimmung, die sowieso nicht besser hätte sein können. Aber es gab auch Schattenseiten: Nämlich insgesamt drei Tote. Ein Flugzeug stallt im kurzen Endanflug auf die 27 und begräbt 2 Menschen in den Trüm-mern. Zwei Flugzeuge kollidieren beim Rollen, wobei ein Insasse vom Propeller des anderen Flugzeuges tödlich verletzt wird. Nach Aussage der Offiziellen die ersten Todesfälle seit 26 Jahren (Anmerkung: In den folgenden Jahren waren leider noch weitere tödliche Unfälle zu verzeichnen).
Dann noch mal alles in Zeitlupe.
Auf dem Rückweg haben wir dann das, was wir auf dem Hinweg nicht hatten. Schlechtes Wetter auf einem Teil der Strecke. Mit Gewittern über den „Great Lakes“ und mit Vereisung zwischen Island und Schottland. Gut, wenn man da über ein gutes Stormscope und eine Enteisungsanlage verfügt. Und eine gute Portion Gegenwind war ebenfalls angesagt. Die westliche Strömung hatte bei unserem Rückflug wohl frei genommen. Der Gegenwind und die Tatsache, dass wir jeden Tag durch die Zeitdifferenz zwei Stunden verloren, führten dazu, dass wir insgesamt 5 Tage für den Rückflug brauchten. Aber es gab immer noch Highlights:
Goose Bay, ehemaliger US-Militär-Standort, der viele Jahre von der deutschen Luftwaffe für das Training von Tiefflügen genutzt wurde. Ein Platz irgendwo in der verlassenen Weite Kanadas, den man nicht so leicht vergisst. Vielleicht auch deshalb, weil man sich dort am Abend im Saloon sein Steak selbst brät. Oder Narsarsuaq, ganz im Süden von Grönland. Bei blitzeblauem Wetter sinken wir in einen Fjord hinein. Um am Ende des Fjords vor hohen Bergen die Landebahn zu entdecken. Vor der Bahn treiben kleine Eisberge im Wasser, als Verlängerung der Bahn sehen wir einen Gletscher aus den Bergen kommen. Dieser Platz ist bei schlechtem Wetter ziemlich haarig oder sogar unmöglich anzufliegen. Bei unserem guten Wetter aber bot er vielleicht einer der faszinierendsten Anflüge, die man in Erinnerung behalten kann. Zum Schluss dann noch Nebel in Wick, so dass wir nach Aberdeen ausweichen müssen. Doch am nächsten Tag sind wir zuhause und melden uns bei Mönchengladbach Tower: „D-GERM from Oshkosh, USA to your field, established ILS Runway 31“. Die Antwort fällt recht spartanisch aus: „Cleared to land“. Man merkt es schon, wir sind wieder in Deutschland.
Piloten: Dr. Wolfgang Daiser und Michael Fröhling
Flugzeug: Diamond TwinStar DA42
Zeitraum: Juli 2006
Distanz: 16.400 km
Flugzeiteit: 66 Stunden
Geschwindigkeit: Durchschnitt 138 Knoten / 248 km pro Stunde
Verbrauch: 2.500 Liter Jetfuel (38 Liter pro Std.)